Portrait: Eckart und Henning Wiegräbe
 aus: sonic - Magazin für Musik und traditionelles Instrumentarium   Ausgabe 3.2001 Mai /Juni

"Solistenbrüder"
 
Die Brüder Eckart und Henning Wiegräbe haben so manches gemeinsam. Beide sind Soloposaunisten in großen Sinfonieorchestern. Dennoch geht jeder seinen ganz eigenen künstlerischen Weg.
 
von Nicole Vollweiler
 
Eckart (36) und Henning (33) Wiegräbe eroberten von der Pfalz aus die Posaunenwelt. Aufgewachsen sind die Geschwister in Neustadt an der Weinstraße. Doch schon sehr früh zog es sie hinaus. Beide lieben ihre Heimat, das fast mediterrane Klima an der Deutschen Weinstraße, die Pflanzenwelt mit Feigen, Kiwis, Zitronen, den Wein, das gute Essen, die aufgeschlossenen Leute.

Aber ihre Liebe zum Reisen, zum Kennenlernen neuer Länder, Menschen und Kulturen war einer der Gründe, der neben der großen Begeisterung für die Musik den Ausschlag gab, die Posaune zum Beruf zu machen. Wenn man die Lebensläufe der Beiden liest, wird sehr schnell klar, dass dieser Traum vom Reisen in Erfüllung ging: Solistische und kammermusikalische Auftritte beispielsweise beim SchleswigHolsteinMusik Festival, bei Villa Musica, beim MDRMusiksommer, der Lieksa Brassweek führten durch Deutschland, England, Frankreich, die Schweiz, Finnland, Spanien, die USA, Italien, Russland Tschechien, China, Brasilien und andere Länder. "das schöne am Reisen als Musiker ist, dass man einen Grund und eine Berechtigung hat, wenn man im Ausland ist. Man bringt immer etwas mit, hat Anteil am musikalischen Austausch und wird meist sehr zuvorkonnmend behandelt", berichten Eckart und Henning.

Es ist nicht ganz alltäglich, dass zwei Brüder das gleiche Instrument lernen und es damit zu internationalem Renommee bringen. Eckart und Herming Wiegräbe werden oft gefragt, ob damit nicht eine enorme Konkurrenz untereinander entstünde. Dies sei nicht der Fall. Man profitiert voneinander und musiziert miteinander. "Wir haben das Glück, dass wir das gleiche Instrument spielen und trotzdem sehr gerne zusammen musizieren."

So wie gerade am Ostersonntag. Da spielten sie im Mußbacher Herrenhof in Neustadt an der Weinstraße. In diesem ehemaligen Weingut sind die Wiegräbes aufgewachsen. Inzwischen ist es dank des unermüdlichen Einsatzes der Mußbacher Bürger zu einem Kulturzentrum geworden. Und jedes Jahr an Ostern bieten Henning und Eckart dort ein außergewöhnliches Konzert. In diesem jahr stand Filmmusik in Arrangements für zwei Posaunen, Klavier, Bass und Schlagzeug auf dem Programm.

Da wären wir dann bei der Vielfalt des Repertoires der beiden. Im Hauptberuf sind die Brüder Soloposaunisten großer Sinfonieorchester, Eckart beim Mitteldeutschen Rundfunk in Leipzig, Henning bei der Staatsphilharmonie RheinlandPfalz in Ludwigshafen. Neben dem Orchesterspielen sind sie sehr aktiv in der Kammermusik und solistisch tätig. Hierbei reizt Henning besonders die Auseinandersetzung mit der Alten Musik. Nach ein paar Jahren des "Schnupperns" auf diesem Sektor perfektioniert Henning seit letztem Jahr das Spiel der Barockposaune durch ein Kontaktstudium bei Charles Toet an der Musikhochschule Trossingen und der Schola Basel.

Eckarts Schwerpunkt liegt im Bereich von Avantgarde und Weltmusik. Hierbei setzt er seine ganze Künstlerpersönlichkeit ein, wenn er beispielsweise die Sequenza von Berio als Clown Grock verkleidet darstellt. Dieses Stück erfuhr im übrigen durch ihn im Komponistenverband St.Petersburg seine russische Erstaufführung. Zu seinen Spezialitäten auf dem Gebiet der Weltmusik zählt das Didjeridoo, welches er nicht nur in Konzerten erklingen lässt, sondern auch die Spieltechniken auf Kursen weiter gibt.Nach Aussage des Künstlers hat jede Soarte des Musizierens ihre ganz eigenen Reize.

Henning genießt am Orchesterspielen den "Klangrausch und dass man sich zwar immer einpassen muss, dennoch eine ganz eigene Note einfließen lassen kann." Eckart berichtet in diesem Zusammenhang von einer ganz intensiven Konzentration. Sie sorgt dafür, dass für ihn beim Spielen "die Zeit langsamer läuft" und er sehr exakt reagieren kann. "Das ist ein ganz großes Glück", sagt er. "Und was die meisten Leute als Lampenfieber fürchten, ist für mich der Kick."

Im Gegensatz dazu bietet das solistische Musizieren für Eckart die Möglichkeit, musikalisch das umzusetzen, was man sich selbst vorstellt: "Du suchst die Stücke selbst aus, hast deine eigene Zeiteinteilung, lässt deine ganze Persönlichkeit zur Geltung kommen." Henning dazu: "Als Posaunist hat man es relativ schwer als Solist, weil das Instrument nicht so weit verbreitet ist. Aber es tun sich riesige Experimentierfelder auf, man kann seine ganz eigene Interpretation wagen und hat Zeit, sich wirklich mit der Musik auseinander zu setzen. Für mich bietet das solistische Spiel den Kick!  Ähnlich ist es mit der Kammerrnusik. Auch dort hat man das Glück, experimentieren zu können und nahe an das Publikum heran zu kommen, sich mit ihm auszutauschen."

Wie intensiv diese Erlebnisse sein können, zeigt eine Erzählung Eckarts über eine ganz frühe Tournee, die die Brüder mit einem Blechbläserquintett nach Süd-Frankreich führte. Die jungen Musiker spielten auf dem Marktplatz von Aixenprovence. Zu den Zuhörern gehörte auch ein Landstreicher, der so begeistert reagierte, dass er dem Quintett das wenige Geld, das er besaß, in den Instrumentenkoffer warf. "Dafür lohnt sich das!", meinen beide...

Auch heute noch ergeben sich interessante Begegnungen bei solistischen Auftritten, so wie jüngst für Eckart beim Spielen zeitgenössischer Musik im deutschen Pavillon auf der Expo in Hannover. Welche Bedeutung die Avantgarde für ihn hat, erzählt Eckart: "Wenn man ambitionierter weiter machen will, kann man als Posaunist nur in die Moderne oder in die Alte Musik geben. Mich hat es bereits im Studium zur modernen Musik gezogen. Sie macht einfach den Kopf frei. Bei einem romantischen Stück erzählt der Lehrer zu jedem Ton einen Roman. Die moderne Musik fördert die eigene Kretivität. Oft spielen auch philosophische Ideen eine Rolle. Es werden andere Spieltechniken gefordert. Es ist ein riesiges Gebiet zum Weiterentwickeln."

Aber auch für Henning war die Beschäftigung mit zeitgenössischer Musik schon immer wichtig und interessant. Für ihn ist es ein Vorurteil,dass man damit das Publikum nicht ansprechen kann. Er habe sich bei einem Kammermusikkurs für Jugendliche als Dozent beim Eröffnungskonzert mit "In Freundschaft" von Stockhausen vorgestellt. Die Begeisterung derjungen Musiker sei umwerfend gewesen. Zur Zeit nimmt jedoch die Alte Musik einen breiten Raum im Schaffen Hennings ein. Er schätzt besonders den unmittelbaren Ausdruck dieser Musik, die so sehr vom Gesang geprägt sei. "Für einen Posaunisten ist das 17. Jahrhundert unheimlich wichtig. Da wurde sehr viel gute Musik für unser Instrument komponiert. Kein Posaunist sollte sich diese Stücke entgehen lassen,"

Für Henning Wiegräbe sind die Begegnungen mit Musikern, die sich hauptberuflich mit Alter Musik auseinander setzen, bereichernd. "Sie haben einen ganz anderen Zugang zur Musik, nicht zuletzt weil die meisten von ihnen freischaffend sind."

Neben dem eigenen Musizieren nimmt das Unterrichten eine wichtige Stellung im Leben der beiden Künstler ein. Eckart Wiegräbe lehrt Posaune am Musikgymnasium der Franke'schen Stiftungen in Halle. Seine Schüler stehen noch ziemlich am Anfang. Es gilt also Grundlagen zu vermitteln. Neben dem Erläutern musikalischer Zusammenhänge kommt es oft darauf an, an den Persönlichkeiten der Schüler zu arbeiten. Eckart erzählt von einem hyperaktiven Schüler, der durch Atemübungen erreicht, ein stabiles Körpergefühl herzustellen oder von eitlem schüchternen Jungen, der es schafft, beim Spielen aus sich heraus zu gehen.

Auch für Henning ist das Unterrichten von großer Bedeutung. Er fand schon im Studium die Aussage "wer es nicht ins Orchester schafft, muss unterrichten" bedenklich. "Man kann so viel bewegen, hat eine so große Verantwortung. Unterrichten ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Man bringt den Jugendlichen nicht nur das Posaunespielen bei, sondern hat einen engen Kontakt zu den einzelnen Menschen. Manchmal ist man wie ein großer Bruder für einen Schüler. Zum einen gibt man das weiter, was man selbst gelernt hat, zum anderen ergänzt man das, was man in der eigenen Ausbildung nicht hatte. Wichtig ist mir, den ganzen Körper zu berücksichtigen und viel über dessen Funktionen zu wissen."

Besondere Freude macht Henning Wiegräbe die Arbeit mit Studenten. Denn seit 1993 leitet er die Posaunenklasse an der Musikhochschule des Saarlandes in Saarbrücken. Auch als Dozent für interflationale Meisterkurse in Peking und Moskau wurde Henning bereits mehrmals engagiert. In Moskau erlebte er nach eigener Aussage einen der Höhepunkte seiner bisherigen Laufbahn: "Es war ein tolles Gefühl, als Dreißigjähriger bei einer Meisterklasse am TschaikowskyKonservatorium alteingesessene Größen der russischen Posaunentradition davon zu überzeugen, dass meine Methode zu spielen und zu unterrichten funktioniert. Am Anfang war das wie eine Prüfung; zum Schluss war alles sehr freundschaftlich."

Und wie erfolgreich seine Arbeit mit Schülern und Studenten ist, beweisen die vielen ersten Preise beim Wettbewerb "Jugend musizierf' auf Bundesebene quer durch alle Altersklassen und die Teilnahme etlicher Schüler an Auswahlorchestern wie dem BundesJugendorchester und dem Weltjugendorchester. Auch bei Profiorchestern sind seine Studenten als Aushilfen gefragt und treten somit in die Fußstapfen ihres Lehrers.

Bei all diesen Erfolgsberichten drängt sich die Frage auf, wie alles anfing mit dem Posaunespielen bei Eckart und Henning Wiegräbe. Den Start machten beide in einem Posaunenchor. "Das war interessanter als Klavier spielen, denn man kam gleich unter Leute.", berichten die beiden. "Wir hatten das Glück, mit Werner Schrietter, der mittlerweile Professor an der Musikhochschule Karlsruhe ist, früh einen ganz ausgezeichneten Lehrer zu bekommen" sind sich Eckart und Henning einig.Er ist nicht nur ein ganz toller Posaunist und Lehrer, sondern auch ein richtig guter Freund. Er stand mir schon bei meinem ersten Liebeskummer bei.", ergänzt Henning. Die Entscheidung, Musiker zu werden, fiel bei Henning kurz vor dem Abitur, als er außer Konkurrenz an einem Probespiel teilnahm und fortan in mehreren Profiorchestern als Aushilfe spielen durfte.

Die Zeit direkt vor den Abi-Prüfungen verbrachte er folgerichtig nicht zu Hause am Schreibtisch, sondern auf einer Probenphase des Landes-Jugendorchesters Rheinland-Pfalz... Eckart machte einen kleinen Umweg über die Chemie. Doch dieses Studium hielt er nur eine Woche durch, bis ihm klar war, dass es doch die Musik sein muss. Die Entscheidung wurde unterstützt durch die Teilnahme an einerAufführung des MozartRequiems.Man sagte mir, dass da so ein Stück namens 'Tuba mirum' drin sei. "Da spielst du ganz alleine", wurde ich gewarnt. ich hatte keine Ahnung, dass das eine ProbespielStelle ist. Ich spielte einfach. Danach haben mich Leute gefragt, wo ich studiere." Zum Studium ging Eckart zunächst nach Würzburg (Prof. M. Göss), dann in den hohen Norden nach Hamburg (Prof. E. Wetz), wohin ihm Henning später folgte.

Als Ergänzung zum normalen Studienprogramm besuchten die Brüder Meisterkurse bei Größen wie Branimir Slokar und Christian Lindberg. Parallel zur Ausbildung sammelten Henning und Eckart schon eifrig Orchestererfahrung, beispielsweise beim Philharmonischen Staatsorchester Hamburg oder beim Musical Cats. Auch bei Wettbewerben waren sie erfolgreich und schließlich glückte der Sprung ins Profiorchester.

Spätestens seit diesem Zeitpunkt nimmt der Beruf einen Großteil der Zeit in Anspruch. Doch auch in ihrer Freizeit geben sich die Wiegräbes abwechslungsreich. Eckart investiert seine freien Stunden am liebsten in seine Familie und bekocht seine Freunde. Sein Motto: "Man soll immer neugierig bleiben." Daher wagt er als Hobbygastronom des öfteren einen Blick in die Sterne. Der Körper wird beim Triathlon gestählt und sein kirchliches Engagement drückt sich im Organisieren von Vorträgen für die Evangelische Akademikerschaft aus. Henning hat eine ähnlich bunte Palette an Aktivitäten aufzuweisen. Seine körperlichen Kräfte erprobt er beim Badminton und Ski fahren. Auf Weinmessen und bei Winzern wird der beste Pfälzer Wein ausgesucht, und auch sozial engagiert sich der Künstler bei einem Verein, der sich um Asylbewerber kümmert.

Langweilig wird den Beiden also bestimmt nie. Und auch die Ziele für die nächste Zukunft sind vielversprechend. Henning wird im Sommer nach Shanghai reisen, um mit dem dortigen Sinfonieorchester als Solist zu spielen. Eckart freut sich schon auf seine erneute Beteiligung am Rottweil Festival.
 
Die Posaunen: Beide von Kromat
 
Bei all den individuellen Entwicklungen ist es erstaunlich, dass die beiden auf dem wichtigen Gebiet der Instrumentenwahl einen gemeinsamen Kurs eingeschlagen haben. Die Brüder spielten lange Jahre Standardposaunen, suchten aber schon seit längerem nach einer Alternative.

Henning wurde vor zwei Jahren auf der Frankfurter Musikmesse fündig. Dort lernte er den Instrumentenbauer Hans Kromat und seine Posaunen kennen. "Ich hatte zuvor die Schwierigkeit, im Fortissimo einen nichtaggressiven Klang zu erzeugen. Und gleichzeitig war der Ton im Pianissimo nicht ausreichend tragfähig. Es war ein wirkliches "AhaErlebnis", die Instrumente von Kromat kennen zu lernen. Die CL 139 eignet sich hervorragend als solistisches Instrument und gleichzeitig komme ich an der SoloPosaune im Orchester sehr gut zurecht." Seit einem Jahr spielt nun auch Eckart eine KromatPosaune CL 139 und ist begeistert: "Sie klingt so, wie ich es mir vorstelle und passt gut ins Orchester. Mit dieser Posaune kann ich umsetzen, was ich will, sie unterstützt mich in meinen Ideen."                           
 
 Hans Kromat hat für seine CL 139 den Deutschen Musikinstrumentenpreis 2001 erhalten. Das Instrument hat einen ganz eigenen Charakter, ist nicht traditionell "deutsch" oder "amerikanisch". Die Ausführung des Siegerinstrumentes entspricht der von den meisten KromatKunden favorisierten: GoldmessingSchallbecher (23 cm) mit schmalem Neusilberkranz, Wechselvorrichtung, etwas schwererer Messingzug, weites Mundrohr und individuell einstellbare Handstütze. Eckart und Henning Wiegräbe loben nicht zuletzt die Experimentierfreudigkeit des Instrumentenbauers. Er sei willig und fähig, Anregungen umzusetzen. Das Ergebnis solcher Tüfteleien sind Hennings AltPosaune und die JazzPosaune, die gemeinsam erarbeitet wurden. Durch Hans Kromats Instrument wird also nochmals deutlich: Zwei Brüder  eine Posaune